InterviewNew Mittelstand und Digital Twin - Interview mit Thorsten Kroke und Carina Gliese

5. Oktober 2023
Schematische Darstellung einer I4.0-Komponente, bestehend aus einem Asset (hier: Gegenstand) und seiner Asset Administration Shell (hier: Verwaltungsschale) © AAS, InterOpera-Projekt / Steinbeis Europa Zentrum, angelehnt an Kai Garrels, ABB, Plattform Industrie 4.0, 2019

InterOpera steht für „Digitale Interoperabilität in kollaborativen Wertschöpfungsnetzwerken der Industrie 4.0“ und ist ein vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz gefördertes Verbundprojekt mit den Konsortialpartnern Steinbeis Europa Zentrum, Fraunhofer Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA sowie Standardization Council Industrie 4.0 (SCI 4.0). Es dient u.a. der Erarbeitung von industriellen Digitalen Zwillingen in Form von Teilmodellen der Asset Administration Shell (AAS) für verschiedene Branchen und Anwendungsfälle über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg. In einer ersten Phase konnten Unternehmen, aber auch andere Organisationen, beim Konsortium Use Cases einreichen, bei denen ein Digital Twin von Nutzen ist. Wurden die daraus resultierenden Projektideen als förderungsfähig eingestuft, erfolgte eine Ausschreibung im Offenen Verfahren zur Akquise von sogenannten „Methodenberater*innen“, die in Zusammenarbeit mit einem nach Zuschlagserteilung auch mit der Hilfe des Konsortiums gebildeten Arbeitskreis das Teilmodell in Rahmen von mehreren Arbeitskreissitzungen erarbeiteten.

New Mittelstand und Digital Twin – passt das zusammen? TRANSFER hat nachgefragt bei Thorsten Kroke, Geschäftsführer der BCON2 GmbH und Methodenberater in mehreren InterOpera-Teilmodellprojekten, sowie bei Carina Gliese, Projektleiterin von InterOpera (bis August 2023) auf Seiten des Verbundkoordinators, dem Steinbeis Europa Zentrum.

Frau Gliese, könnten Sie uns erklären was ein Digital Twin und was ein Teilmodell der AAS ist?

Ein Digital Twin ist die virtuelle Abbildung eines Assets, wobei ein Asset sowohl eine physische als auch eine digitale Entität sein kann, die für eine Organisation einen tatsächlichen oder wahrgenommenen Wert hat. Dazu können beispielsweise Produkte, Maschinen, Anlagen, Verträge, Zeichnungen oder Software zählen. Der Digital Twin hält in digitaler Form Daten rund um das Asset bereit. Eine Asset Administration Shell ist die standardisierte informationstechnische Umsetzung eines Digital Twin für die Industrie 4.0. Eine AAS besteht aus mehreren Teilmodellen, von denen jedes ein Aspekt des Assets abdeckt und unabhängig von den anderen agieren kann. Teilmodelle enthalten Strukturelemente, die über Merkmale wie Werte, Symbole oder Maßeinheiten beschrieben werden und über eine Semantic ID auf einen Eintrag in einem Dictionary bzw. in einem Klassifizierungssystem für Produkte und Dienstleistungen wie z.B. ECLASS, in dem Merkmale eindeutig definiert sind, hinweisen. Auf diese Weise ermöglicht eine AAS einen standardisierten Zugang zu Informationen, wodurch diese herstellerübergreifend über den gesamten Lebenszyklus eines Assets hinweg von allen Akteuren genutzt werden können.

Wie kann nun ein industrieller Digital Twin oder eine AAS die Vision des New Mittelstands von mehr Sinn und Nachhaltigkeit, von Flexibilität, von Zusammenarbeit und transparenter Wertgenerierung unterstützen?

Digital Twins helfen dabei, Prozesse in der Industrie transparenter, intelligenter, effizienter und nachhaltiger zu gestalten. Durch die Harmonisierung, die Austauschbarkeit und den erleichterten herstellerübergreifenden Zugriff auf Daten können wir z.B. mit Hilfe von Digital Twins den Carbon Footprint eines Produkts viel genauer berechnen und dadurch auch analysieren, an welchen Stellen im Herstellungs- oder Produktlebenszyklus evtl. Einsparungen möglich sind. Digital Twins erlauben durch die stärkere Transparenz der Daten auch große Fortschritte bei der Rückverfolgbarkeit, beim Recycling und insgesamt beim Aufbau einer Kreislaufwirtschaft und im Qualitätsmanagement. Durch Simulationen sind Entwicklungen und die Auswirkung von Veränderungen z.B. auf ein Produkt bereits im Voraus feststell- und bei Missfallen dann auch vermeidbar, ohne dass dafür in der Realität bereits Ressourcen für Prototypen oder dergleichen investiert werden mussten. Digital Twins erleichtern z.B. durch die Überwachung von Betriebs- und Leistungszuständen in Echtzeit eine vorausschauende Wartung, indem Probleme, die zu Ausfällen führen könnten, frühzeitig erkannt und behoben werden. Digital Twins zahlen also auf alle der von Ihnen genannten Aspekte ein.

Herr Kroke, welche InterOpera-Teilmodellprojekte haben Sie geleitet, welchen Mehrwert bringen diese und sehen Sie bei diesen Zusammenhänge mit der Vision des New Mittelstands?

Wir haben die Ehre, folgende Teilmodellprojekte zu leiten: den Software Package-Manager, Product Related Environmental Footprint, Facility Related Environmental Footprint, Computing Platform Resources, Fiber Optic Cables und Switching Relais (siehe auch Teilmodellprojekte - InterOpera). Die Bandbreite ist hier vielfältig von ganz konkreten Use Cases des Datenaustauschs zu Produkten in einer Branche (Fiberoptische Kabel, Switching Relais), vom Gesetzgeber geforderte Informationen (die beiden Umweltdatenprojekte) oder interoperabel digitaler Datenaustausch zu Softwarepaketen oder Hardwareanforderungen für Software. Diese reine digitale Abbildung spart gerade dem New Mittelstand Zeit und Geld, wenn Informationen direkt digital und informationsverlustfrei vorliegen, so dass diese direkt weiterverarbeitet werden. Neue Geschäftsmodelle lassen sich ebenfalls darauf abbilden, z. B. ein Ranking für umweltfreundliche Produkte oder digitales Engineering von Produkten in der Wertschöpfung.

Was würden Sie Unternehmen empfehlen, die auch mit Teilmodellen der AAS bzw. Digital Twins starten möchte, aber bisher noch nicht wirklich viele Berührungspunkte damit hatten?

Wir in der BCON² GmbH haben genau dafür sehr einfache Softwarelösungen gebaut. Sie brauchen nur Onlinezugang und Internetverbindung und Sie legen selbst unter beats.bcon2.com los. Hier lernt man den Umgang mit AAS, kann auf die Typenschilder oder die sehr guten InterOpera-AAS zugreifen. Einfach Hardwareanforderungen für Clouddienste mit der AAS Computing Platform Resources ausprobieren. Bei Bedarf einfach Hilfe dazubuchen. Es ist wirklich ganz einfach.

Klappt aus Ihrer Sicht der Transfer des in der Theorie schon gut ausgearbeiteten Konzepts der AAS in die Praxis bisher schon gut und falls nicht, welche Hindernisse gilt es noch zu überwinden?

Hier braucht es solche nachhaltigen Initiativen wie InterOpera. Das erleichtert den Zugang und klärt auf. Der Forschungsaufwand ist sonst ggfs. zu hoch und die New Mittelständler wissen nicht, wo sie starten sollen. Ich empfehle immer den kleinen Start in einem Fall und das Ausprobieren.

Welche Lessons Learned hatten Sie bei Ihren Teilmodellprojekten?

Die AAS ist technisch von der Industrial Digital Twin Association (IDTA) gut designt und ECLASS bietet direkt eine geniale Semantik, dessen Strukturelemente alles beschreiben können. Dass dies nur maschinenlesbare technischen Konstrukte sind, ist vielen leider nicht klar und die Excel-Denke herrscht noch vor. Ich muss es im kleinsten Detail aber nicht verstehen, sondern anwenden. Darum geht es.

Frau Gliese, InterOpera neigt sich bald dem Projektende entgegen. Können Sie schon eine erste Bilanz ziehen und wird es eine Fortsetzung geben?

InterOpera und die damit verbundene Kommunikationsarbeit, unsere Workshops und Unterstützungs- wie auch Mitwirkungsmöglichkeiten waren auf jeden Fall hilfreich, um auch KMU und andere Organisationen die Vorteile der AAS an konkreten Praxisbeispielen bzw. Use Cases aufzuzeigen und an das Thema heranzuführen. Zudem konnten alle Beteiligten in den Teilmodellprojekten viele Erfahrungen und Best Practices sammeln, die auch in Zukunft – wie auch die erarbeiteten Teilmodelle selbst – von Nutzen sein werden. Eine Fortsetzung von InterOpera direkt wird es nach derzeitigem Stand in derselben Form nicht mehr geben, aber Ideen für Teilmodelle können z.B. weiterhin bei der in der vorherigen Antwort schon erwähnten IDTA eingereicht werden, wo bei Annahme des jeweiligen Use Cases dann auch die Umsetzung stattfindet. Die IDTA wurde 2020 gegründet und versteht sich als Koordinator rund um das Thema Digital Twin, bietet Trainings und Weiterbildungen dazu an, entwickelt mit den zahlreichen Mitgliedsfirmen selbst Teilmodelle der AAS und etabliert den Digital Twin als Open-Source-Technologie. Auch wenn unter den Mitgliedsfirmen viele große Player dabei sind, wendet sich das Angebot der IDTA auch an den Mittelstand. Es gibt in den Working Groups viele Mitwirkungsmöglichkeiten und auch auf der Website (IDTA – Der Standard für den Digitalen Zwilling (industrialdigitaltwin.org)) findet man zahlreiche Informationsdokumente zur AAS und zu damit zusammenhängenden Themen. Die IDTA ist also auch eine sehr gute Adresse, wenn es darum geht, sich mit dem Thema Digital Twin vertraut zu machen und Praxiserfahrungen zu sammeln.

Kontakt: Thorsten Kroke​, ​ECLASS​

Geschäftsführer / BCON2 GmbH​

kroke@eclass-office.com

https://bcon2.com/

 

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Alexandra Fezer
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